Seit mehreren Jahrzehnten ist das Verhältnis Großbritanniens und der Europäischen Union (EU) geprägt von Distanz und Annäherung. 1946 sprach der Premierminister Winston Churchill von den „Vereinigten Staaten von Europa“ aber ohne die Mitgliedschaft Großbritanniens. Dennoch entschied sich Großbritannien einige Jahre später, Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu werden. Es wollte in erster Linie von wirtschaftspolitischen Vorteilen profitieren. Geleitet von innenpolitischen und teils populistisch motivierten Interessen entschied sich das Land 2016 mit einer hauchdünnen Mehrheit für den EU-Austritt. Die amtierende Premierministerin Theresa May soll nun die komplexen Austrittsverhandlungen mit der EU führen. Um genügend innenpolitische Rückendeckung für diese Verhandlungen zu erhalten, hat sie kurzfristig Neuwahlen angesetzt. Ob dieses politische Manöver von Erfolg gekrönt sein wird, wird sich am 8. Juni 2017 zeigen. Doch welche Auswirkungen könnte der Brexit für Großbritanniens Wirtschaft haben?

Schauen wir zunächst auf die momentane wirtschaftliche Situation des Landes. Großbritannien war gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von 2.367 Mrd. Euro im Jahr 2016 die zweitgrößte Volkswirtschaft in der EU und steht weltweit auf Platz fünf. Dabei spielt der Dienstleistungssektor – und hier insbesondere der Finanzsektor – mit einem Anteil von 80 % eine primäre Rolle. London ist der wichtigste Finanzplatz in Europa und liegt weltweit auf Platz zwei. Global agierende Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltungen wie Barclays, HSBC oder Prudential genießen großes Ansehen. Großbritannien verfügt aber auch über bedeutende internationale Industrieunternehmen wie den Öl- und Gaskonzern BP, BHP Billiton (Bergbau) oder GlaxoSmithKline (Pharma).

Die Arbeitslosenquote ist seit 2012 kontinuierlich auf bis dato unter 5 % gesunken. Die relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit konnte durch verschiedene Programme inzwischen auf unter 11 % gesenkt werden. Mit einer Staatsquote im Jahr 2016 von 42 % liegt Großbritannien unterhalb des EU-Durchschnitts und steht für die Bedeutung einer liberalen Wirtschaftsordnung in Großbritannien.

Insgesamt scheint es der Wirtschaft Großbritanniens bislang gut zu gehen. Allerdings ermöglichte dies vor allem die britische Notenbank, die aus Angst vor einer Rezession nach dem Brexit-Votum das Wertpapierkaufprogramm weiter ausbaute und den Leitzins erstmals seit der Finanzkrise von 0,5 % auf 0,25 % senkte. Ein Blick auf den Devisenmarkt lässt dagegen einen regelrechten Einbruch des britischen Pfunds erkennen. Dies sichert zwar Exportvorteile, allerdings konnte Großbritannien mit seinem starken Finanzsektor wenig vom schwachen Pfund profitieren.

Für die Wirtschaft Großbritanniens wird entscheidend sein, wie Theresa May die Brexit-Verhandlungen führen wird. Zielt sie wie angekündigt auf einen harten Brexit ab, sind wirtschaftliche Turbulenzen vorprogrammiert. Dies hätte auch einen Ausschluss der Briten aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion zur Konsequenz. Denn nur durch den Austritt aus dem EU-Binnenmarkt kann Großbritannien wie geplant einen härteren Kurs gegen die Zuwanderung von EU-Bürgern fahren. Andererseits wird das Land ohne ein vernünftiges Freihandelsabkommen mit der EU mit Abwanderung von Fachkräften und Unternehmen zu kämpfen haben wie es zum Teil bereits der Fall ist.  Gerade der für das BIP Großbritanniens so wichtige Finanzsektor könnte überproportional stark darunter leiden. Frankfurt, Paris und andere europäische Städte buhlen bereits um Mitarbeiter und Unternehmen.

Noch sind also keine nennenswerten wirtschaftlichen Konsequenzen der Brexit-Entscheidung festzustellen. Die Marktteilnehmer und Unternehmen verhalten sich eher abwartend. Daher sollten die Brexit-Verhandlungen mit beidseitigem guten Willen und Respekt geführt werden, um für alle Beteiligten und deren Wirtschaft hinnehmbare Regelungen zu finden. An einem Handels- und Wirtschaftskrieg zwischen EU und Großbritannien, der am Ende allen schadet, kann keine Partei ein ernsthaftes Interesse haben.