In wenigen Wochen steht der europäischen Wirtschaft mit dem Referendum der Briten über einen Verbleib in der Europäischen Union eine wichtige Entscheidung bevor. Folgt man aktuellen Umfragen, scheint sich bei der am 23. Juni stattfindenden Abstimmung ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzuzeichnen. Eine Befragung des Instituts „YouGov“ ergab beispielsweise, dass 43 Prozent sich für und 42 Prozent gegen einen Verbleib aussprechen. Die Unsicherheit über den Ausgang des Referendums ist für die EU aus momentaner Sicht ungünstig und beinhaltet auch Risiken für den Kapitalmarkt.

Aus Sicht Großbritanniens bliebe man bei einem EU-Austritt – falls es wie im Falle Norwegens und der Schweiz mit der EU zu einem Handelsabkommen käme – von Zöllen verschont. Jedoch bestünden in diesem Szenario nicht-tarifäre Handelshemmnisse, welche zusätzliche Kosten verursachen könnten. Hiermit sind unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Umweltstandards oder der Kennzeichnung von Waren und Produkten gemeint.

Ein Vorteil einer Abwendung Großbritanniens von der EU wäre die finanzielle Entlastung durch den Wegfall von Einzahlungen in den EU-Haushalt. Dadurch könnte unter Umständen das Brutto-Inlandsprodukt gesteigert werden. Darüber hinaus bestünde eine Chance, sich von der bisher starken Abhängigkeit europäischer Handelsbeziehungen loszulösen und sich vermehrt auf amerikanische oder asiatische Märkte zu fokussieren. Bedenken wegen Währungsdefiziten müssten sich laut der Barclays-Bank auch nicht ergeben, da man mit einer relativ schnellen Stärkung des britischen Pfund gegenüber dem Euro rechnen könne.

Diesen potenziellen Vorteilen stehen jedoch im erheblichen Maße Nachteile entgegen. Ein Brexit würde Verhandlungen mit der EU unnötig erschweren. Großbritannien könnte sich selber schwächen, da es die Vorzüge eines europäischen Binnenmarktes aufgeben und neue Verträge mit der EU aushandeln müsste. Die meisten britischen Exporte gehen – nach den USA – an europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande oder die Schweiz. Somit sind die Briten im großen Maße vom europäischen Wirtschaftsraum abhängig. Importiert wird hauptsächlich aus der Europäische Union. So gab es 2015 Importe in der Höhe von 31 Milliarden US-Dollar aus Deutschland; gefolgt von 8,1 Milliarden US-Dollar aus Belgien oder 5,8 Milliarden US-Dollar aus Frankreich.

Auch aus außereuropäischer Sicht gibt es hinsichtlich eines Brexits eine große Skepsis- unter anderem betont US-Präsident Barack Obama den Schaden, den Großbritannien bei einem Ausstieg zu verkraften habe. Auch Ex-Premierminister Tony Blair betont seismische Auswirkungen eines Brexit auf die Wirtschaft.

Wie könnten umgekehrt aus deutscher (und europäischer) Sicht die Konsequenzen im Falle eines britischen Ausstieges aus der EU aussehen? Zum einen könnten britische Waren teurer werden. Zum anderen könnten deutsche Produkte versteuert werden. Somit wäre eine Abkühlung des Handels mit dem Inselstaat durchaus denkbar. Dies wären bei einer momentan tendenziell florierenden deutschen Wirtschaft eher ungünstige Bedingungen. Schließlich befand sich Großbritannien 2015 mit 89 Milliarden Euro auf Platz drei der deutschen Exporte. Laut Umfragen der britischen Economist Intelligence Unit würde ungefähr jedes dritte Unternehmen im Vereinten Königreich sein Engagement reduzieren oder die Kooperation gänzlich einstellen. Wichtige Beziehungen gehen dadurch dementsprechend verloren.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Brexit für die Europäische Union zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt käme. Konfliktthemen wie Griechenland und die Flüchtlingskrise sind nach momentaner Lage beileibe noch nicht geregelt. Im Gegenteil: man diskutiert über weitere Erhöhungen der Hilfstranche für den südeuropäischen Krisenstaat. Die Finanzierung würde sich bei einem Ausstieg erheblich erschweren. Immer wieder wird auch über die Relevanz Großbritanniens in der internationalen Politik gesprochen. So könnte das Image der EU Schaden tragen. Gleichzeitig würden in diesem Fall mit Deutschland und Frankreich nur zwei große Akteure in der Union vertreten sein – ein Umstand, welcher den Handel mit dem amerikanischen und asiatischen Markt erschweren könnte.

Grundsätzlich ist daher von einem Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union abzuraten. Negative Folgen überwiegen wage positive Aussichten für den Inselstaat. Seitens der Europäischen Union müsste man den Ausstieg der wohl zweitgrößten  europäischen Wirtschaftsmacht  und einem der potentesten Nettozahler der EU kompensieren. Großbritannien sollte vor allem aufgrund seiner Relevanz im Arzneimittel-und Luftfahrtsektor in der EU verbleiben. In diesen Bereichen ist Großbritannien europaweit führend. Eine weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU wäre daher nicht nur für Großbritannien selbst, sondern auch für die EU die beste Option.

Ein Beitrag von Richard Freutel